Der Geschichte erst einmal ein Dossier
Falls irgendein Papi irgendeinem Kind diese Pressemitteilung des niedersächsischen Kultusministeriums und der Stiftung Lesen vorlesen sollte, schnarcht der Nachwuchs hoffentlich schneller als Papi den angerichteten Schaden wieder gut machen könnte, wenn das Kind länger als fünf Minuten zuhören würde. Das Beste wäre: Beide schnarchen sofort und werden von Mami verständnisvoll zugedeckt.
Verständnisvoll wäre Mami schon nach den ersten Sätzen der Pressemitteilung. Sie lauten: "Lesen und Vorlesen sind ein wichtiger Schlüssel zur Bildung und damit eine
substanzielle Grundlage für eine funktionierende Gesellschaft. Trotzdem lesen 30
Prozent der Eltern ihren Kindern nicht regelmäßig vor, und wenn, dann sind dies
meistens die Mütter." Nun könnte Mami andere Mütter anrufen, sie würden auch nicht wissen, was die anderen 70 Prozent tun. Dabei ist laut Pressemitteilung eigentlich alles ganz einfach, und zwar gleich doppelt: "Das Projekt funktioniert ganz einfach: Über das firmeneigene Intranet ihres
Arbeitgebers erhalten die Mitarbeiter wöchentlich von der Stiftung Lesen eine
Geschichte, die sie einfach und kostenlos herunterladen und mit nach Hause
nehmen können."
Bekannt ist zwar, dass viele Papis Arbeit mit nach Hause nehmen, aber über "Geschichten, die unterschiedliche Interessen von Jungen und Mädchen ansprechen und verschiedene Altersgruppen und kulturelle Hintergründe berücksichtigen", wird das hoffentlich nicht auch noch bekannt. Noch langweiliger als die Geschichte ist wahrscheinlich "das umfassende Vorlese-Dossier mit Hintergründen und Tipps zum Vorlesen", das Papi auch noch mit ans Kinderbettchen nehmen soll, damit ihm vermittelt wird, "warum Vorlesen für die Entwicklung der Kinder so wichtig ist."
Sobald Mami aus dieser Pressemitteilung erfahren hat, was auf die Familie zukommen könnte, wenn Papi Woche für Woche Dossiers lesen würde, um die kulturellen Hintergründe seines Kindes zu beleuchten, wird sie sich fragen, warum sie nicht Analphabetin geblieben ist. Dann hätte die Glückliche auch das nicht lesen können: „Leseförderung ist nicht nur eine
politische, sondern auch eine unternehmerische Aufgabe. Denn schon jetzt steht
der deutsche Arbeitsmarkt vor großen Herausforderungen, da 14,5 Prozent der
15-Jährigen in Deutschland Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben haben und
ihnen damit eine wichtige Voraussetzung zur Ausbildungsfähigkeit fehlt. Dank der
Förderung und des Engagements des niedersächsischen Ministeriums für
Wissenschaft und Kultur profitieren bereits rund 150 Arbeitgeber im Land von
diesem Angebot. Wir rufen nun auch alle anderen Unternehmen auf, über die
Teilnahme an ‚Mein Papa liest vor!' einen einfachen und effektiven Beitrag zu
einer familienfreundlicheren Arbeitskultur und zur Steigerung der
Bildungschancen der Kinder ihrer Mitarbeiter zu leisten."
Der Mann, der das gesagt hat, heißt Maas und ist Präsident der Stiftung Lesen. Wenn er seinem Kind diese Sätze vorlesen würde, müsste er schon eine sehr verständnisvolle Frau haben...
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